Erik Brynjolfsson und Andrew Mcafee zeichnen in ihrem Buch The Second Machine Age einen Bogen von der ersten technischen Revolution hin bis zum letzten Stand der technischen Entwicklungen und darüber hinaus.
Du liest The Second Machine Age und nach den ersten Kapiteln wird es dir wieder bewusst. Wir leben in einer Zeit der explosionsartigen, technischen Entwicklungen, ganz anders als alle Generationen vor uns. Die zweite industrielle Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts war die physische Variante eines Aufschwungs. Unsere Generation erlebt eine gigantische, informationstechnologische Entwicklung. Die Auswirkungen auf die Zukunft sind nicht nicht absehbar.
Moore’sche Gesetz, Big Data und Innovationen
Gordon Moore stellte 1965 das Moore’sche Gesetz auf. Sein Gesetz besagt, dass sich die Rechenleistung integrierter Schaltkreise jedes Jahr verdoppelt. So unglaublich das damals klang, so war diese Behauptung für die folgenden 40 Jahre sogar zu konservativ geschätzt. Noch heute behält diese Regel in abgewandelter Form weiter Gültigkeit. Dieses Gesetz liegt über allen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wie eine Metapher unserer Zeit, ein Symbol für die rasante Entwicklung dieser Technologie.
1985 war ich begeistert von dem Supercomputer Cray 2. 1 Der Supercomputer hatte die Grösse eines begehbaren Wandschrankes. Mit einem Preis von $ 35 Mio war er damals ein unfassbarer Leistungsgigant. 2011 gab Apple das Tablet iPad 2 heraus. Für $ 1000 erhielt ich die gleiche Rechenleistung mit zusätzlichem Touchscreen, zwei hochauflösenden Kameras, Mobilfunk- und Wi-Fi-Netz-Zugang, GPS-Empfänger, digitalem Kompass, einem Gyroskop, einem Beschleunigungs- und einem Lichtsensor. Heute haben wir diese Rechenleistungen auf unseren Mobiltelefonen für einen noch geringeren Preis.
Auch das das weltweite Volumen digitaler Daten explodierte in den letzten Jahren. IDC schätzt es für 2012 auf 2,7 Zettabyte2. Der globale Internetverkehr nahm von 2006 bis 2011 um den Faktor zwölf zu und erreichte damit pro Monat 23,9 Exabyte3. Cisco schätzt den globalen Internet-Protocol-Datenverkehr 2016 auf 1,3 Zettabyte4.
Diese rasante Zunahme des weltweiten Datenaufkommes – Warum? Brynjolfsson und Mcafee bringen in ihrem Buch The Second Machine Age den Begriff der Nichtrivalität5 und der vernachlässigbaren Grenzkosten für die Vervielfältigung digitaler Daten ins Spiel. Sie sind Grund dafür, dass weltweite Daten fast unbegrenzt zur Verfügung stehen – für Konsumenten, Wirtschaft und Wissenschaft. Startups wie Waze6, Innocentive7, Kaggle8, Quirky9 oder Affinova10 zeigen, welche neuen Möglichkeiten uns eine umfassende Verfügbarkeit von Daten bringt. Brynjolfsson und Mcaffe zeigen am Beispiel von Waze, wie die dynamisch nichtrivalisierende Daten für Benutzer eingesetzt werden können. Waze, ein israelisches Startup, ist ein GPS-System für Autofahrer, das die Daten aller angemeldeten Fahrzeuge nutzt, um den optimalen Weg für seine Nutzer zu finden. Dieses System funktioniert auf Grund der explodierenden Masse an Onlinedaten, auf die Waze zugreifen kann und der extrem billigen Entstehung der nichtrivalisierenden Daten. Google kaufte 2013 Waze für 1 Milliarde US-Dollar. Zu diesem Zeitpunkt hatte Waze 100 Mitarbeiter.
Diese Masse an Daten brachte einen neuen Begriff hervor: Big Data. Dieses Schlagwort umfasst die Ansammlung von Technologien, die diese Daten analysieren und auswerten können. Das Phänomen Big Data verändert die Herangehensweise der Wissenschaften zur Forschungen. Victor-Meyer Schönberger beschreibt in seinem Buch Big Data11, dass wir auf Grund der Datenmengen Ursache-Wirkung-Zusammenhänge vernachlässigen können – Korrelation ersetzt also Kausalität. Wir können bestimmte Phänomene erkennen und müssen nicht herausfinden, warum sie passieren. Auf Grund der Datenmengen sehen wir, dass sie passieren. Wird das eine neue Art des wissenschaftlichen Zugangs?
Im Zusammenhang mit Innovationen ist interessant, dass laut Martin Weizman12 die Kombinationsmöglichkeiten so rasch und drastisch zunehmen, dass es schon bald eine unbegrenzte Zahl an potentiell wertvoller neuer Kombinationen aus bestehenden Wissensfragmenten gibt. Für neue Innovationen, im Allgemeinen für das gesamte Wirtschaftswachstum, gibt es nur einen Engpass: Haben wir die Ressourcen um alle potentiellen Neukombinationen auszuprobieren? Bob Gordon stellt in seinem Buch The Great Stagnation13 in diesem Zusammenhang die provokante Frage: „Ist das Wachstum vorüber?“ Die Antwort ist: Nein. Wir sind nur durch unsere Unfähigkeit aufgehalten, all die neuen Ideen schnell genug zu verarbeiten.
Mit der eigenen Zeit am BIP vorbei
Brynjolfsson und Mcafee stellen in ihrem Buch The Second Machine Age eine interessante Frage: Können altbewährte Wirtschaftskennzahlen die neuen technischen Entwicklungen richtig abbilden? Erfasst zum Beispiel das BIP die Entwicklung des zweiten Maschinenzeitalters, der Informationswirtschaft richtig?
Das BIP erfasst den Gesamtwert aller Güter, die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden, nach Abzug aller Vorleistungen.14
Wir benutzen wir immer mehr Gratisdienste im Internet: Wikipedia, Facebook, Craigslist, Google und Pandora, und jedes Jahr kommen tausende digitaler Güter hinzu. Scheinen diese Dienstleistungen im BIP unseres Landes auf? Nutzer waren letztes Jahr weltweit jeden Tag rund 200 Millionen Stunden nur auf Facebook. Die Kapitalvermögen der grossen Internetgiganten fallen immer mehr auf immatrielle Werte wie Organisationskapital, Patente oder Benutzerzahlen. Derzeit zeigt der Richtwert des BIP, der eigentlich das Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft zeigen sollte, kein richtiges Bild der derzeitigen Entwicklung mehr. Der Nobelpreisträger Joe Stiglitz über das BIP als unzulänglicher Masstab für das Wohlergehen von Volkswirtschaften:
Dass das BIP ein unzulänglicher Masstab für das Wohlergehen, ja selbst für die Marktaktivität sein könnte, ist natürlich längst bekannt. Doch durch die Veränderung in der Gesellschaft und der Wirtschaft hat sich die Problematik verschärft. Gleichzeitig bieten die Fortschritte von wirtschaftswissenschaflichen und statistischen Methoden möglicherweise die Chance, unsere Messgrössen zu optimieren.15
Wirtschaftswissenschaflter versuchen derzeit neue Kennzahlen zu erarbeiten, die die Entwicklungen des zweiten Maschinenalter genauer abbilden können.
Das Alles-oder-nichts-Prinzip generiert Superstars. Wer sind die Gewinner?
Es gibt immer mehr grosse Global-Player, die sich die Märkte untereinander aufteilen. In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung von Märkten mit relativen und absoluten Leistungen interessant:
Bei absoluter Leistung bekommt ein Arbeiter, der 90% der Kompetenz mitbringt, 90% einer Leistung erbringt und 90% des Wertes, auch 90% des Geldes bekommt. Anders ist es bei der Arbeit eines Programmierers, der eine relative Leistung erbringt. Verbessert dieser sein Programm um eine schnellere Routine, läuft das Programm bei allen Anwendern ein bisschen schneller, lädt vielleicht die Daten vollständiger und das Programm wird von mehr Benutzern gekauft. 16
Den Verbrauchern in der digitalen Welt geht in erster Linie um die relative Leistung. Wer das Beste haben kann, verschwendet weder Zeit noch Mühe auf das zehnbeste Produkt. Grund dafür sind drei Veränderungen:
- die zunehmende Digitalisierung von Informationen, Gütern und Dienstleistungen
- die enormen Verbesserungen in der Telekommunikation und in geringerem Umfang auch im Transportwesen
- die gestiegene Bedeutung von Netzwerken und Standards17
Die Entwicklung neuer Technologien konzentriert sich in letzter Zeit auf immer weniger Firmen, die jede für sich umso mehr Benutzer generieren. Gleichzeitig haben diese Unternehmen erstaunlich wenige Mitarbeiter und schreiben teilweise bei Übernahmen noch nicht einmal Gewinne:
Übernahme von Instagram April 2012 (12 Mitarbeiter und kein Ertragsmodell) für 1 Mrd. US-Dollar durch Facebook18.
Übernahme von Whatsapp Februar 2014 (50 Mitarbeiter) für 19 Mrd. US-Dollar durch Facebook19
Übernahme von Skype Oktober 2011 für 8.5 Mrd. US-Dollar durch Microsoft 20
Weiters ein Auszug von Firmen, die Google im letzten Jahrzehnt übernommen hat: Youtube, Android, Picasa, Motorola, Quickoffice, Waze, Boston Dynamics, Nest Labs, Titan Aerospace, Skybox, Dropcams. Grosse Firmen werden immer grösser. Kleine Firmen werden zunehmend von den grossen Firmen aufgekauft. Wohin führt diese Entwicklung? Wird der Markt in Zukunft nur mehr von wenigen grossen Mega-Konzernen dominiert werden?
Verlieren wir das Rennen gegen die Maschinen?
Mittlerweile sind uns die Computer in vielen Bereichen überlegen, können schneller rechnen und nehmen uns viele alltägliche Kleinigkeiten ab. Aber werden uns Computer in allen Bereichen irgendeinmal das Wasser reichen können? Die Autoren sind der Meinung, dass Köche, Gärtner, Mechaniker, Zimmerleute, Zahnärzte und häusliche Krankenpfleger auf kurze Zeit nicht Gefahr laufen, durch Maschinen ersetzt werden. Kritik üben die Autoren an den Universitäten, die ihrer Meinung nach versagt haben. Wir sollen uns auf unsere Fähigkeiten zur Ideenbildung, zur breit gefassten Mustererkennung und zur komplexen Kommunikation konzentrieren. 21. Aber die Zukunft ist unklar. Sag niemals nie, ist die Antwort. Wir können nicht voraussagen, was passieren wird. Dafür entwickeln sich die Technologien zu schnell und die Möglichkeiten sind unüberschaubar.
Letztendlich erhöht die Technik unseren Wohlstand, aber das Gefälle ebenfalls. Die Gefahren durch Versehen und Vorsatz werden auch grösser. Durch die umfassende Technologisierung nimmt die Wahrscheinlichkeit für Katastrophen, echte existenzbedrohende Gefahren, Freiheit und Tyrannei und andere potentielle unbeabsichtigte oder unterwartete Nebenwirkungen zu. Es passiert alles viel schneller und direkter.
Derart komplexe und vernetzte Systeme haben zwei miteinander zusammenhängende Schwächen:
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Die Gefahr, dass sich zunächst geringfügige Schönheitsfehler im Zuge einer unvorhersehbaren Ereignisfolge zu grösseren und folgenschwereren Problemen auswachsen.
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Komplexe, eng gekoppelte System bieten reizvolle Ziele für Spione, Kriminelle und alle möglichen unheilstiftende Elemente.22
Am Ende des Buches werden wir mit der bedrohlichen Vision der Singularität konfrontiert. Der Computer übernimmt die Eigeninitiative und entwickelt sich selbst weiter. Der Menschheit entgleitet die Oberhand und ist der Technologie ausgeliefert. Sehr eindrucksvoll zeigt der sehenswerten Film Transcendence23 aus dem Jahre 2010. Jonny Depp spielt einen Wissenschaftler, der auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz arbeitet. Nach seinem Tod wird sein Gehirn in einen Superrechner eingespeist, verbindet sich mit dem Internet und entwickelt sich in kürzester Zeit zu einem unkontrollierbaren Universal-System. Ist die Singulariät möglich? Wann wird sie uns heimsuchen? Es gibt Wissenschaftler, die sagen, dass sie unausweichlich auf uns zu kommt. Doch wie der AI-Vorreiter Frederick Jelinek so treffend formuliert: „Flugzeuge schlagen nicht mit Flügeln“. Die Singularität ist so lange noch kein Thema, solange Roboter Stunden brauchen, um ein Handtuch zusammenzulegen.
Versöhnlich endet das Buch mit der Aussicht, dass wir unsere Zukunft noch immer in der Hand haben. Wir können steuern, wohin die Reise geht. So rasant sich die Technologie auch entwickelt. Technologie ist kein Schicksal. Technologie ist die Chance unserer Zeit.
Weiterführende Informationen über die beiden Autoren findet ihr auf der Webseite zu diesem Buch.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Cray-2 ↩
- 2,7 Zettabyte = 2,7 Trilliarden Byte ↩
- 23,9 Exabyte = 23,9 Milliarden Gigabyte ↩
- http://www.cisco.com/web/solutions/sp/vni/vni_forecast_highlights/index.html ↩
- Rivalität von Gütern liegt vor, wenn diese jeweils nur ein Verbraucher konsumieren kann. Ein Sitzplatz in einem Flugzeug kann nur von einem Passagier benutzt werden. Im Gegensatz dazu brauchen sich digitale Informationen nicht auf, wenn sie verwendet werden. Nichtrivalität liegt vor, wenn ein Gut von mehreren Benutzern gleichzeitig genutzt werden kann. ↩
- www.waze.com ↩
- www.innocentive.com ↩
- www.kaggle.com ↩
- www.quirky.com ↩
- www.affinova.com ↩
- Mayer-Schönberger, Viktor/Cukier, Keneth: Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird. München: Redline Verlag 2013 ↩
- Weitzman, Martin L.: Recomainant Growth. Quarterly Journal of Economics 113, Nr. 2, 1998. S 331-360 ↩
- Cowen, Tyler: The Great Stagnation. How Amerika Ate All the Low-hanging Fruitof Modern History, Got Sick, and Will (Eventually) Feel Better, New York:Dutton, 2011. S. 128 ↩
- www.wikipedia.org/bip ↩
- http://www.project-syndicate.org/commentary/gdp-fetishism ↩
- Brynjolfsson, Erik/Mcafee, Andrew: The Second Machine Age. Kulmbach: Börsenmedien AG 2014, S. 186 ↩
- Brynjolfsson, Erik/Mcafee, Andrew: The Second Machine Age. Kulmbach: Börsenmedien AG 2014, S. 187 ↩
- http://derstandard.at/1333528701735/Foto-Community-Facebook-kauft-Instagram-um-eine-Milliarde-Dollar ↩
- http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/facebook-kauft-konkurrenten-whatsapp-fuer-milliardenbetrag-a-954546.html ↩
- https://de.wikipedia.org/wiki/Skype ↩
- Brynjolfsson, Erik/Mcafee, Andrew: The Second Machine Age. Kulmbach: Börsenmedien AG 2014, S. 237 ↩
- Brynjolfsson, Erik/Mcafee, Andrew: The Second Machine Age. Kulmbach: Börsenmedien AG 2014, S. 302 ↩
- https://de.wikipedia.org/wiki/Transcendence_(Film) ↩
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