Hugo Portisch erzählt in seiner Biographie Aufregend war es immer von seinen Erlebnissen als Journalist. Es ist unglaublich spannend zu lesen, was Portisch alles erlebt hat. Sein Leben lang war er auf der Suche nach Hintergründen – mit Engagement, Hartnäckigkeit und Witz.

Zwölf Jahre hat der Verleger auf dieses Buch warten müssen. Portisch fiel es schwer über sich selbst zu schreiben. Bisher war es immer das „Ich“ als Berichterstatter, das erzählt hatte. Jetzt sollte er über sich selbst schreiben. Im Vorwort fragt sich Portisch schelmisch, ob man überhaupt über sich selbst schreiben kann. Und jetzt hat er es doch getan. Was wir erfahren, ist richtig spannend und informativ. So kennen wir Hugo Portisch aus dem Fernsehen: Mit einfacher Sprache kommentiert er die Hintergründe komplexer, geschichtlicher Ereignisse. Alles was er sagt, klingt plausibel. Es ist aufregender Geschichtsunterricht, belegt mit Schwarz-Weiß-Filmen. Hier in seiner Biographie erzählt er von seinem Leben. Dabei spannt er in einem Bogen aus historischen Schlüsselereignissen von Kriegsende 1945 bis hin zur aktuellen Europa-Krise. Er untermalt sie mit persönlichen Erlebnissen und zahlreichen Anekdoten. In Österreich ist Portisch aus dem Fernsehen bekannt: Ganz Österreich verfolgte in den 90er-Jahren gespannt seine Kommentare in den Fernsehserien Österreich I & II. Seine Live-Kommentare in den ORF-Nachrichten hielten Österreich in Atem. Portisch sprach als Chefkommentator des ORF über komplizierte politische und wirtschaftliche Zusammenhänge und jeder Laie verstand es. Mit seinem sympathischen Lächeln und seiner positiven Ausstrahlung zog er die Zuschauer in seinen Bann.

Buchcover Portisch

Buchcover @ecowin Verlag

Die Geschichte und der Rückschaufehler

Bei seinen Kommentaren zu historischen Ereignissen praktizierte Portisch eine eigene Herangehensweise. Er versuchte, sich in die Zeit hineinzuversetzen, von der er berichtete. Er belegte seine Recherchen mit zahlreichen Filmaufnahmen und historischen Dokumenten. Seine Beurteilungen wirkten, als berichtete er direkt aus der Vergangenheit, als wäre er vor Ort. Das hatte den Vorteil, dass er Geschichte nicht nur einfach nacherzählte. Mit Portisch erlebten wir die Zeit von damals neu. Historische Ereignisse waren nicht mehr nur eine logische Abfolge von Ereignissen. Von Portisch nachrecherchiert, waren sie das Ergebnis von komplexen Sachverhalten und Zufällen, die er in kurzen Sätzen erklärte. Bei der Analyse von Geschichte verfallen wir gewöhnlich einem beliebten Denkfehler. Der Schweizer Rolf Dobelli nennt diesen Denkfehler in seinem Buch Die Kunst des klaren Denkes1 den Rückschaufehler (englisch: „hindsight bias“). Bei der Rückschau auf die Geschichte nehmen wir gerne an, dass der Verlauf der Geschichte vorgegeben ist. Wir nehmen an, zu wissen, warum etwas Passiert ist. Für uns erscheint es klar, da wir nur die Informationen übernehmen, die zu einem Ereignis geführt haben. Der Rückschaufehler ist einer der hartnäckigsten Denkfehler überhaupt. Man kann ihn treffend als Ich-hab’s-schon-immer-gewusst-Phänomen. Portisch deckte bei seinen Berichten auf, dass die Menschen zu keinem Zeitpunkt wussten, wie es weiterging. Und das war das spannende an seinen Kommentaren: Wird Österreich 1945 geteilt? Setzen sich die Kommunisten in Wien durch? Kann Österreich als eigener Staat überleben? Kommt es zu einer Luftbrücke wie in Berlin 1948? Dazu ein interessantes Detail aus dem Buch: Portisch berichtet von dem Plan, der im Fall einer Blockade von Wien durch die Sowjetunion diskutiert worden ist. Auf der Heiligenstätterstraße in Wien Döbling sollte eine Landebahn für Flugzeuge errichtet werden. Die österreichischen Politiker rechneten mit dem Schlimmsten. Sie wussten nicht, was passieren würde. Heute wissen wir, wie es kam. Portisch macht uns diese Ungewissheit von damals in seinen Dokumentationen bewusst. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir unser demokratisches Land heute betrachten, bekommt damit einen anderen Stellenwert. Es gab viele Momente nach dem Krieg, in denen alles offen war. Es entschieden manchmal nur Kleinigkeiten. Und diese „Kleinigkeiten“ deckte Portisch mit seinen akribischen Recherchen auf.

Die Vielfalt an politischen und wirtschaftlichen Ereignissen, die Portisch direkt miterlebte, ist unglaublich: Während seiner Journalistenausbildung in den USA traf er überraschend den ehemaligen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Als der österreichische Staatsvertrag 1955 beschlossene Sache war, verteilte Portisch persönlich die Extraausgabe des Kurier in der Innenstadt. Er sprach mit Otto von Habsburg, der 1961 in Österreich als Justizkanzler zurück an die Macht wollte. Auf seiner China-Reise 1964 war er zufällig der einzige westliche Journalist, der mit Marschall Chen Yi ein Interview führen konnte. In dem Gespräch bestätigte China seine Neutralität beim Ausbruch des Vietnamkriegs. Portisch berichtete direkt vom Vietnamkrieg.Er reiste quer durch Sibirien, wo er Akademgorodok, das damalige „Silicon Valley“ der Sowjetunion, besuchte. Als weltweit erster Journalist bekam er Zutritt zu dem „War Room“, des Strategic Air Command in Omaha, der amerikanischen Kommandozentrale im Falle eines Atomkriegs.

Ab 1967 war Hugo Portisch Chefkommentator beim ORF und später weltpolitischer Kommentator beim Bayrischen Rundfunk. Beim ORF revolutionierte er unter Gerd Bacher die Informationspolitik der Zweiten Republik. Bis zu diesem Zeitpunkt  hatte der ORF keinen einzigen Auslandskorrespondenten. Der ORF berichtete über offizielle Stellungnahmen der Parteien und der Regierung. Nachrichten aus dem Ausland beschränkten sich auf Meldungen von internationalen Nachrichtenagenturen. Live-Interviews führte der ORF grundsätzlich vorher schriftlich aus. Portisch bekam die Chance das zu ändern. In seinem Buch erzählt er von vielen historischen Begebenheiten, bei denen wir ihm über die Schulter schauen. Wir sehen, wie er mit Menschen umgeht, sich in Zurückhaltung übt und sich selbst zurückstellt. Er steht im Dienst der Sache. Viele der Geschichten sind humorvoll erzählt, wie diese eine, in der ihm bei den Studentenunruhen in Paris seine Filmrolle aus der Hand fällt:

Ich lief, und die Dose mit dem Film fiel mir aus der Hand, öffnete sich beim Aufschlag und rollte die Straße hinunter. Dabei wickelte sich der Film von der Spule ab. Ich fasste das offene Ende und begann den Film über meinen Ellbogen händisch aufzuwickeln.
Das klappte, und mit dem über meinem Arm gewickelten Film erreichte der Kameramann und ich das ORTF-Studio. Da standen wir nun in dem Raum, von dem aus der Film via Kabel nach Wien hätte überspielt werden sollen. Die bestellte Verbindung mit dem ORF war schon hergestellt und der französische Techniker stand zur Übertragung bereit. Hilflos zeigte ich ihm meinen Arm mit dem aufgewickelten Film. Der aber nahm ein Ende des Films und das Tonband, fädelte beide, Band und Tonspur, in seine Übertragungsmaschine ein und wies mich an, nun mit der entsprechenden Armbewegung den Film nach und nach von meinem Ellbogen abzuspulen. Das Unternehmen gelang…der Beitrag wurde direkt in die „Zeit im Bild“ eingespielt.2

Hugo Portisch Portrait

© Ernst Kainerstorfer/picturedesk.com

Eine Bilderbuchkarriere als Journalist

Hugo Portisch wurde am 19. Februar 1927 in Pressbaum / Bratislava geboren. Sein Vater, Österreicher, war der letzte Chefredakteur der Pressburger Zeitung, die 1938 unter dem Druck der Nationalsozialisten aufgelöst worden war. Portisch erhielt sein Reifezeugnis kurz vor Kriegsende in Pressbaum und wurde zur Waffen-SS nach Deutschland einberufen. Während er auf dem Weg zu seinem Einberufungsort war, endete der Zweite Weltkrieg. An der Universität Wien studierte Portisch Geschichte, Germanistik, Anglistik und Publizistik. Eigentlich wollte er nicht Journalist werden:

Ich wollte nicht Journalist werden. Ich wollte einen Beruf ausüben, der es mir erlaubt, wie ich es formulierte, „in die Welt hinauszugehen“, fremde Länder zu sehen, andere Kulturen zu erleben. 3

Ab 1948 begann er bei der Wiener Tageszeitung in der Auslandsredaktion als „Redaktionsaspirant im ersten Jahr“, wie es damals hieß. Von Karl Polly und Hans Dichand, mit denen er in einem Raum saß, lernte er Journalismus und diktieren. Die Herren schrieben keine Artikel, sie diktierten ihre Texte Sekretärinnen. 1950 übernahm Portisch das Außenressort. Im selben Jahr absolvierte er einen sechsmonatigen Journalistenkurs an einer der besten Ausbildungsstätten für Journalisten in Amerika, der „School of Journalism“ der Universität Missouri. Dort lernte er die Grundsätze des amerikanischen Journalismus: Keine Verbrüderung mit Politikern und der Wahrheit verpflichtet sein, check, re-check, double-check. Zur Wahrheitsfindung galten zwei Grundsätze aus dem römischen Recht: „Audiatur et altera pars“, immer auch die andere Seite anhören, und „In dubito pro reo“, im Zweifelsfall für den Angeklagten. 1954 holte ihn Hans Dichand, damals Chefredakteur des Neuen Kurier, Hugo Portisch zu sich. Mit 31 Jahren übernahm Portisch 1958 die Chefredaktion und blieb zehn Jahre lang in dieser Position. Er initiierte 1964 die erste und erfolgreichste Volksabstimmung Österreichs, das Rundfunkvolksbegehren für die Unabhängigkeit des ORF. Danach holte ihn der Generalintendant Gerd Bacher als Chefkommentator in den ORF und er arbeitete jahrelang als Auslandskorrespondent in London. Beim ORF startete Portisch die erfolgreichen Fernsehdokumentationen Österreich I und Österreich II. Er dokumentierte einfach und verständlich die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik mit nie zuvor gesehenem Video- und Bildmaterial. 1991 war Portisch als Präsidentschaftskandidat im Gespräch. Er erhielt den Concordia-Preis, die Julius-Raab-Medaille und den Victor-Frankl-Preis. Für sein Lebenswerk wurde ihm 2002 den Platin-Romy und 2014 die österreichische Auszeichnung Journalist des Jahres verliehen.

Ich habe die Biographie von Hugo Portisch mit großem Interesse gelesen. Es hat mir viel neues Hintergrundwissen vermittelt. Beim Lesen wurde mir immer wieder bewusst, wie sehr wir unsere Demokratie dem Einsatz und er Hartnäckigkeit von einigen wenigen Persönlichkeiten verdanken. Als Beispiel: Immer wieder erzählt Hugo Portisch von der unglaublichen Geschichte über die Entstehung der Zweiten Republik, die er persönlich recherchiert hat. Karl Renner machte sich bei Kriegsende auf den Weg in das Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte. Josef Stalin sprach ihm per Fax umgehend vollstes Vertrauen aus. Am 29. April 1945 gründete Renner die Zweite Republik, noch während des Krieges – das Kriegsende kam erst am 8. Mai. Das war unglaublich! Deutschland wartete auf auf einen solchen Tag noch vier lange Jahre.

Hugo Portisch arbeitete die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik auf. Stellvertretend für alle Österreicher machte er sich mit Elan auf den Weg in die Vergangenheit. Portisch und sein Partner Sepp Riff fingen bei ihren Recherchen bei Null an. Zu Beginn ihrer Arbeiten für die Dokumentation Österreich II befanden sich im Archiv des ORF eine Filmspule, die gerade einmal 36 Minuten lang war. Das war alles. Mehr war aus der Zeit nach 1945 beim ORF nicht vorhanden. Die Filme, Tonaufnahmen und Zeitdokumente musste sich Portisch aus Archiven in Amerika, der Sowjetunion, in England und vielen anderen Staaten zusammensuchen. Ein unglaubliches Unterfangen! Portisch hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass Österreich sich mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat und sein Geschichtsverständnis neu zu überdenken musste.

  1. Dobelli, Rolf: Die Kunst des klaren Denkens. Verlag Hanser 2011
  2. Portisch, Hugo: Aufregend war es immer. Ecowin Verlag 2015, S. 39
  3. Portisch, Hugo (2015), S. 39
Aufregend war es immer Book Cover Aufregend war es immer
Hugo Portisch
Sachbuch
Ecowin Verlag
19. Oktober 2015
Hardcover
352
978-3-711-00072-9