Das China des 18. Jahrhunderts. Der Kaiser Qiánlóng herrscht unumschränkt über das mächtigste Reich der Welt. Christoph Ransmayr erzählt in seinem neuen Buch Cox oder der Lauf der Zeit von einem englischen Uhrmacher, der an dem Hof des Kaisers außergewöhnliche Zeitautomaten bauen soll. Wir lernen eine faszinierende Welt der Strenge, der Untertätigkeit und der unbeschränkten Möglichkeiten kennen.
Siebenundzwanzig abgeschnittene Nasen
Der Kaiser Quánglóng lässt siebenundzwanzig Steuerbeamten öffentlich ihre Nasen abschneiden.1 Das ist es, was Cox bei seiner Ankunft in der südostasiatischen Hafenstadt Háng zhou durch sein Fernrohr sieht. Alister Cox ist ein weltberühmter Uhrmacher und Automatenbauer. In Europa steuert er ein Imperium mit mehr als neunhundert Feinmechanikern, Juwelieren, Gold- und Silberschmieden. Cox ist auf Wunsch des Kaisers Quánglóng hierher, des mächtigsten Herrschers der Welt gekommen. Sieben Monate dauerte die Reise um Afrika herum und über die malariaverseuchten, indischen und südostasiatischen Hafenstädte. Sein Leben hat sich im Stillstand befunden. Nach dem Tod seiner 8-jährigen Tochter Abigail ist er in tiefe Trauer versunken. Seine Frau Faye hat aufgehört zu sprechen. Die Reise sollte ein Neuanfang werden.
Der Kaiser Quánglóng
Gemeinsam mit seinen Gefährten Jacob Merlin, Balder Bradshaw und Aram Lockwood tritt Cox in eine unheimliche, fremde Welt ein. Es ist eine Welt der absoluten Kontrolle, der Kontrolle über das Leben der Untertanen. Der Kaiser Quánglóng ist allgegenwärtig und doch unsichtbar; ein Gott. Fünftausend Höflinge auf fünfunddreißig Dschunken begleiten den Kaiser auf seiner Inspektionsreise durch das Land. Alleine 300 Konkubinen sorgen für das Wohl des Herrschers. Auf dem Fluss Dà yùn hé, geht es in Richtung Peking, sieben Wochen lang. Dà yùn hé, der Große Kanal, wurde von Menschenhand geschaffen: 1200 Meilen lang, 40 Meter breit, bis 12 Meter tief. Man sagt, der Kaiserkanal kostete pro Meile 1000 Arbeitern das Leben.
Der Erhabene allein bestimmte, wann er sichtbar und wann er unsichtbar sein wollte, wann er einer Stadt mit seiner Anwesenheit tatsächlich Glanz verlieh und wann dieser Glanz nur Abglanz war und nicht viel mehr bedeutete.2
Angekommen in Peking werden die vier englischen Feinmechaniker an dem Ort einquartiert, an den noch nie zuvor ein Europäer seinen Fuß gesetzt hat: Zi jìn chéng, des Kaisers purpurne Stadt. Die Verbotene Stadt. Alister Cox und seine Helfer werden hier das übliche, prunkvolle Spielzeug bauen. Das glauben sie. Doch der Kaiser hat anderes mit ihnen im Sinn. Die Geschichte beginnt.
Das Spielen mit der Zeit
Christoph Ransmayr behandelt in seinem Roman Cox oder Der Lauf der Zeit eine Urfrage des Menschen. Es ist die Frage nach der Zeit und die Kontrolle über sie. Können wir die Zeit anhalten? Warum vergeht Zeit manchmal schneller und dann wieder langsamer? Wie bekommen wir sie in den Griff?
Wodurch sich jede Uhr von einer anderen unterscheidet, sagte Cox: durch den Betrachter, durch den, der seine Zeit und den Rest seines Lebens von ihr abzulesen sucht.3
In der Geschichte beschreibt Cox die Verbotene Stadt, den Hof des Kaisers, als eine steinernes Uhrwerk. Betrieben wird es von einem unsichtbaren Herzen, einer allgegenwärtigen Kraft: Quánglóng. Schon sein Name, übersetzt „Der Herr der zehntausend Jahre“ soll seine unumschränkte Macht ausdrücken, auch über die Zeit. Er ist der einzige, der mit der Zeit spielen darf. Der Kaiser bestimmt sogar den Beginn der Jahreszeiten. Für alles gibt es strengste Regeln, deren Nichteinhaltung mit der Todesstrafe belegt sind. Weiße Linien auf dem Boden geben vor, wo sich die Gäste bewegen dürfen. Sogar für die Gemahlinen und die 300 Konkubinen gibt es das „Erhabene Gesetz“. Es besagt, dass sie im Abstand von genau drei Körperlängen ihrem Herrscher zu folgen haben.4
Eine farbenprächtige Stimmungen der Wunderlichkeiten
Wenn man es kann, läßt man sich am besten beim Lesen in den Roman hineinfallen. Hier werden Ideen kreiert, die jeglicher Vorstellungskraft entbehren. Abstruse Situationen mit dem Hof des Kaisers. Cox und seine Gehilfen sind Eindringlinge in eine reglementierte Welt. Mit ihrer Arbeit stoßen sie an die Grenzen, die nur dem Kaiser vorbehalten sind.
Der echte Alister Cox
Den Uhrenmacher gab es wirklich. Nur hieß er James Cox5 und lebte von 1723 bis 1800. Seine wertvollen und pompösen Uhren-Kreationen waren zu seiner Zeit in den Kaiserhäusern beliebte Geschenke und sind heute in den großen Museen Europas und Chinas ausgestellt. Ein besonderer Liebhaber von Coxs Meisterwerken war der damalige Kaiser von China: Quánglóng. Cox und der Kaiser von China sind sich im echten Leben nie begegnet. Doch der Christoph Ransmayr fügt Fiktion und Realität so poetisch ineinander, dass alles wirkt, als wären wir selbst vor Ort gewesen. In einem Interview mit Denis Scheck erzählt Ransmayr, wie er zu der Idee dieses Romans gekommen ist. 6
Im Roman ist Cox ist ein außergewöhnlicher Kopf. Sein Antrieb ist es, die Zeit über weltliche Metaphern zu manifestieren. Er baut Uhren, die die Zeit eines Kindes simulieren. Der Kaiser wünscht eine Uhr, welche die Zeit eines Sterbenden anzeigt. Cox erzählt von einem Totenkopf, den er in eine Uhr umgewandelt hat. Sogar aus der Erdwärme von Toten treibt Cox eine seiner Uhren an.
Antworten können wir uns keine erhoffen. Anleitungen oder Hinweise sind es auch nicht, die wir beim Lesen bekommen. Es sind die atemberaubenden Bilder, in die wir mit den Beschreibungen von Christoph Ransmayr hineinfallen. Cox oder Der Lauf der Zeit ist ein Roman, der uns mit seiner Sprache umschlingt und uns bis zum letzten Satz nicht mehr los lässt.
Der Autor Christoph Ransmayr
Ransmayr wurde 1954 in Wels geboren und wuchs in Roitham/Oberösterreich auf. Nach dem Studium der Philosophie und Ethnologie in Wien arbeitete er als Kulturredakteur und Autor für Zeitschriften. Seit 1982 arbeitet er als freier Schriftsteller und bereist die Welt. Für seine Werke erhielt Christoph Ransmayr außergewöhnlich viele Auszeichnungen und Preise.
Das Buch beim S.Fischer Verlag
- Ransmayr, Christoph: Cox oder Der Lauf der Zeit. S.Fischer Verlag: Frankfurt am Main 2016 ↩
- Ransmayr (2016), S. 196 ↩
- Ransmayr (2016), S. 125 ↩
- Ransmayr (2016), S. 266 ↩
- Der echte Uhrmacher auf Wikipedia ↩
- Interview von Denis Scheck (ARD Mediathek) ↩
11. Januar 2017 at 12:08
Huhu!
Das Buch habe ich mir selber zu Weihnachten geschenkt, bisher aber noch nicht gelesen. (Was ich aber bald vorhabe.)
Eine sehr schöne Rezension, die richtig Lust auf das Buch macht!
LG,
Mikka
11. Januar 2017 at 17:03
Hi Mikka,
super! Danke Dir für Dein Kommentar. In das Buch von Ransmayr bin ich total reingekippt. Mittels seiner Sprache erzeugt er eine ganz eigene Stimmung, die die Geschichte noch verrückter erscheinen lässt. Es geht auch viel um unumschränkte Macht und die Grenzen derselben. Ein außergewöhnliches Werk.
Viel Spaß beim Lesen!
LG, Hans