Alex Capus schreibt über das Leben als Barbetreiber in einer Schweizer Kleinstadt. Abgeklärt schwingt im Romantitel Das Leben ist gut ein unterschwellig ironischer Ton helvetischer Durchschnittlichkeit mit. Das Buch sprüht vor Selbstzufriedenheit und statischer Lebenslust. Capus reflektiert über den Mikrokosmos des Schweizer Alltags, den Einfluss der Globalisierung und den Wert von Freundschaft bzw. lebenslanger Partnerschaft.

Max, seine Frau Tina und die Sevilla-Bar

Buchumschlag Alex Capus Das Leben ist gutMax lebt in einer Schweizer Kleinstadt und er ist Schriftsteller. Sein letztes Buch ist schon eine Weile her. Er betreibt eine kleine Bar in der Stadt. In seiner Stadt fühlt er sich wohl wie ein Eber im Schweinekolben. Mit seiner Frau Tina ist er mittlerweile 25 Jahre verheiratet. Die beiden haben vier Söhne, die noch im Haus wohnen. Tina zieht es ins Ausland. Für eine einjährige Gastprofessur arbeitet sie wochentags an der Sorbonne in Paris. Der Ehemann Max versteht sie. Sie muss wieder mal weg aus diesem Kaff, meint er. Tina fehlt ihm. Aber andererseits versteht er sie nicht. Eine Frau sollte einfach zu Hause bleiben, zufrieden aufs eheliche Heim achten und die gemeinsame Brut großziehen, meint er. Gleichmütig sorgt er für seine Kinder und den gemeinsamen Haushalt.

Wir begleiten Max, wie er mit seinem Karren glückselig durch die Straßen zieht und sich am Entsorgen von Altglas erfreut. Immer wieder denkt er an seine Tina und stellt sich vor, was sie wohl gerade macht. Max ist zufrieden mit seinem Leben oder er redet sich das zumindest ein. Und ein bisschen komisch ist er auch dieser Max. Die Frau seines besten Freundes schimpft ihn einen engherzigen Korinthenkacker und einen verklemmten Hochtonfurzer 1. Die besten seiner langjährigen Freunde kennt er nur mit Vornamen, obwohl er seit seiner Geburt in seinem Heimatort wohnt. Max will keinen Hund, weil er Angst vor dem Verlassensein hat. Deswegen hast du dir Kinder angeschafft, mein seine Frau.

Eine lebenslange Partnerschaft

Das Buch Das Leben ist gut ist eine Hommage an lebenslange Beziehungen. Max liebt seine Frau Tina. Es ist die konservative Lebensumgebung, die ihr Beziehungssystem zusammenhält. Die beiden sind wie enge Freunde. Er kennt ihre Schwächen, bewundert ihr Selbstbewusstsein und akzeptiert ihre Eigenheiten. Sie ist ein böses Mädchen, sagt er, und das liebt er an ihr. Sie ist eigenwillig und er nimmt sie, wie sie ist. Seiner Meinung nach, lernt man sich in einer Beziehung nicht näher kennen. Vielleicht wäre es das Ende einer Beziehung, wenn sich zwei Menschen ganz kennenlernen würden.

Das heißt aber nicht, dass man einander, je länger man beisammenbleibt, desto besser kennenlernt; man kennt einander nur länger.2

Schon beinahe melancholisch sieht sich Max als umgekehrter Odysseus.

Ich bin ein umgekehrter Odysseus. Ich bleibe zu Hause, während meine Penelope in die Welt hinauszieht.3

Max uns seine Freunde

Dann geht  es noch um Freundschaften, lebenslange Freundschaften. Es sind Silberfäden, die das Zusammensein mit seinen Freunden durchwirkt – Erlebnisse, Erinnerungen. Verschiedenste Charaktere zieht seine Sevilla-Bar an. Banale Geschichten werden ausgetauscht. Der Dorftratsch geht seine Runden. Es wirkt wie ein Gemälde, das Capus malt. Die Figuren sitzen in seiner Bar. Sie trinken, rauchen und reden. Es geht um vegane Nazis, die Nachfahren des Dschingis Kahn oder der Nutzen von Fluorid für die Zähne. Für Max ist seine Bar der letzte Wall gegen die Globalisierung und die Allgegenwart der Medien. Seiner Meinung nach, er spricht von sich als Citoyen, ist die res publica ohne Bars und Kneipen undenkbar.4

Da gibt es den Durrer, der wie Jack Nicholson aussieht und wie ein Dorfpfarrer spricht. Sergio ist Italiener, Eigenbrödler und hat sieben Kinder. Eigentlich wollte er nur drei. Silvia fuhr nach ihrer Scheidung aus Erleichterung mit ihrem Tretroller bis nach Istanbul. Dann gibt es noch den Eier-Emil. Er erhielt seinen Namen, weil er einmal falsche Bio-Eier verkauft hat. Ferdinand ist der mit dem halben Tattoo. Weil er so schmerzempfindlich war, hat er mittendrin aufgehört. Und Ismail taucht regelmäßig auf, ein traumatisierter Türke, der Angst vor Erbeben hat. Es sind Menschen, die wiederkommen, seit Jahren. Es sind Menschen, die immer gleich bleiben. Veränderungen liegen Max nicht. Ja, einen Freund hatte Max noch: Mark. Früher. Sie waren enge Freunde. Man nannte sie beide sogar Lolek und Bolek. Doch Mark veränderte sich. Er nahm sich ein junge Freundin und wollte neues Leben anfangen. Kann man das denn, ein neues Leben anfangen? Max konnte damit überhaupt nichts anfangen. Die Freundschaft zerbrach an der Veränderung.

Helvetische Bürgerlichkeit und die Verheerung der Globalisierung

Zwischen den Beschreibungen der helvetischen Eintracht und Harmonie scheint unterschwellige Kritik an der Globalisierung mit. In den Dörfern verschwinden nach und nach Geschäfte, die die Dinge des täglichen Lebens feilbieten. Stattdessen entstehen überall Nagelstudios oder Beratungszentren für asiatische Wohlfühl-Riten. Die Globalisierung greift in das geordnete System des dörflichen Mikrokosmos ein. Max nennt es die Verheerung weltumspannender Mobilität. Amazon diktiert die Preise. Es gibt keine Idealisierung mehr. Als Maxs Freund Sergio ihm einen Stierkopf für die Sevilla-Bar verkaufen will, eskaliert die Preisverhandlung. Für Sergio gibt es einen ideellen Wert. Dieser liegt weit über dem Preis, den vergleichbare Stierköpfe auf Amazon belegen. Hier prallt die allgegenwärtige Durchdringung der Globalisierung, auf das geschlossene System der dörflichen Zwischenmenschlichkeit. Alles hat seinen festgelegten Wert. Den zu bezahlenden Preis bestimmt eine Internetfirma aus Amerika.

Max wagt sich schließlich ins Ausland. Von Amazon holt er sich seinen neuen Stierkopf aus Deutschland. Etwas unwohl fühlt er sich im Ausland. Er sinniert über die Sinnhaftigkeit Schweizer Atombunker. Als er aus dem Auto aussteigt, denkt er über Splitterbomben nach. Es könnten aus dem Zweiten Weltkrieg noch Blindgänger im Boden befinden. Max zieht es wieder zurück in seine Schweizer Kleinstadt. Der Genius Loci der deutschen Großstadt behagt ihm nicht. Er will zurück, so schnell wie möglich. Die Schweizer Grenze stellt seine letzte Hürde da. Er vergleicht sie mit der Grenze von Nordkorea. Ja, Schweizer haben Angst vor der eigenen Grenze. Wenn sie wieder im eigenen Land sind, ist wieder alles in Ordnung.

Schweizer Schriftsteller über die Flucht

Ist das ein neues Phänomen Schweizer Literatur? Sie beschreiben in ihren aktuellen Büchern ihre perfekte, kleine Welt. Es ist das optimale Leben. Es fehlt an nichts. Alles ist so wie es sein soll. Das Leben läuft in seinen vorgegebenen Bahnen. Es ist alles gut. Nur stehen die Menschen plötzlich auf und gehen weg.

Bei Alex Capus läuft  die Ehefrau davon. Max bleibt in seiner geliebten Heimatstadt und hält die Stellung. Er mag keine Veränderungen. Es ist alles gut, wie es ist.

Das gefällt mir. Ich liebe Dinge, die bleiben. 5

Bei Peter Stamm ist es der Ehemann Thomas, der aufsteht und geht. Spontan verlässt er die Veranda, lässt sein Glas Rotwein stehen und beginnt einen Weg ohne Ziel. Fast gespenstisch wirkt diese Szene, beinahe kafkaesk. Eine unbestimmte, innere Stimme sagt ihm, es ist Zeit zu gehen. Er verlässt Frau und Kinder und kehrt nicht wieder. In dem Roman Weit über das Land geht es um einen Neuanfang, eine Suche nach dem Neuen, der Abwechslung, einem anderen Leben. Alles hinter sich lassen und sich der Ungeregeltheit hingeben. Wieder haben wir hier ein Ehepaar mit seinen Kindern, eingebettet in ein bürgerliches Leben. Alles ist perfekt, und doch fehlt etwas – die Abwechslung, die Herausforderung.

Alex Capus – seine Bücher

Alex Capus lernte ich über seine Bücher Die Patriarchen6, Léon und Louise7, Eine Frage der Zeit 8 und Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer9 kennen. Diese Bücher kann ich jedem uneingeschränkt empfehlen.

Mich hat der Roman Eine Frage der Zeit besonders beeindruckt. Die Geschichte erzählt zur Zeit des Ersten Weltkriegs von dem Bau des deutschen Dampfschiffes SMS Goetzen. Seinen Namen hat es von dem berühmten deutschen Ostafrikaforscher Gustav Adolf von Götzen. Das Dampfschiff wurde nach der Fertigstellung in seine Einzelteile zerlegt und auf abenteuerlichen Wegen an den afrikanischen Tanganjikasee gebracht. Es sollte als Kriegsschiff im Kampf gegen die Engländer vor Ort eingesetzt werden. Auf Grund von technischen Schwierigkeiten kam es nie zu einem Kampfeinsatz. In gewisser Weise erinnerte mich die Geschichte an den Roman Risiko von Steffen Kopetzky, auch ein herausragendes Buch. Hier geht es auch um eine wahnwitzige Expedition, die die Deutschen im Ersten Weltkrieg unternommen hatten. Bemerkenswert ist, dass dieses Dampfschiff Goetzen heute noch unter dem Namen Liemba auf dem Tanganjikasee unterwegs ist. Bis heute ist es das einzige größere Passagierschiff das auf dem See unterwegs ist.

Alex Capus lebt in der Schweizer Stadt Olten als Schriftsteller, Übersetzter und Barbesitzer. So manche autobiographische Details lassen sich bei näherer Betrachtung nicht verleugnen.

 

 

  1. Capus, Alex: Das Leben ist gut. Hanser Verlag: München 2016
  2. Capus, Alex (2016), S. 40
  3. Capus, Alex (2016), S. 69
  4. Capus, Alex (2016), S. 37
  5. Capus, Alex (2016), S. 27
  6. Capus, Alex: Die Patriarchen. btb Verlag: München 2008
  7. Capus, Alex: Léon und Louise. Hanser Verlag: München 2011
  8. Capus, Alex: Eine Frage der Zeit. btb Verlag: München 2010
  9. Capus, Alex: Eine Frage der Zeit und Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer. Hanser Verlag: München 2013
Das Leben ist gut Book Cover Das Leben ist gut
Capus, Alex
Roman
Hanser Verlag
Fester Einband
240
978-3-446-25267-7