Was passierte in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen? Kaiser Wilhelm II. dankte ab. 1919 fand die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung statt. Frauen erhielten erstmals das Wahlrecht und Arbeiter den Acht-Stunden-Tag. Doch die erste Demokratie Deutschlands kämpfte von Anfang an um ihr Überleben. Was waren die Gründe für ihr Scheitern? Wie kam Hitler an uneingeschränkte Macht? Hätte Hitler verhindert werden können? Und wie kam es zu dem Namen „Weimarer Republik“? Die Spiegel-Redakteure Uwe Klußmann und Joachim Mohr beantworten in einer Zusammenstellung von Spiegel-Artikeln viele offene Fragen zu dieser Zeit.

Das Bild von George Grosz Die Stützen der Gesellschaft veranschaulicht eindrücklich die Stimmung während der Weimarer Republik. Im Stil des Dadaismus parodiert George Grosz in seinem Bild das herrschende System. Die Figuren sind als Collage übereinander gelegt. Sie bilden keine Einheit und stehen entweder für sich oder wenden sich vom Betrachter ab. Die starke Rechte, mit verbissenem Gesichtsausdruck, dominiert im Vordergrund. Sie regiert am Stammtisch und beansprucht mit Gewalt in Form eines Degens die Macht. Die Figur links dahinter symbolisiert die Presse, die scheinheilig einen blutgetränkten Palmenzweig des Friedens in Händen hält, unter dem Arm Zeitungen mit Hetzartikeln, auch blutverschmiert. Der dicke Kapitalist dahinter hält die deutsche Fahne in Händen, aber aus seinem offenem Kopf dampfen warme Fäkalien. Der alkoholisierte Priester mit roten Wangen und Nase und fratzenartigem Gesicht deutet aus dem Bild hinaus. Im Hintergrund wütet das Militär.

Die erste Republik entsteht

1918 kapituliert Deutschland. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende. Zehn Millionen Tote, 20 Millionen Verwundete und sieben Millionen zivile Opfer sind der Ergebnis. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen. Ein vom Krieg traumatisiertes Volk schüttelt die Fesseln der Monarchie ab und versucht sich selbst zu organisieren. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann  verkündet vom Balkon des Reichstags dem versammelten Volk: „Es lebe die deutsche Republik“. Kaiser Wilhelm II. hat abgedankt. Die Weimarer Republik ist geboren. Es ist ein zartes Pflänzchen, das aus dem verwüsteten Boden des Krieges sprießt. Die Zukunft ist ungewiss. Alles ist neu. Oswald Spengler schreibt: „Sie hatten plötzlich, was sie seit 40 Jahren erstrebten, die volle Gewalt und empfanden sie als Unglück.“1

Es ist eine unruhige Zeit

Die Zeit der Weimarer Republik war eine Zeit der Extreme. Von Beginn an geht es ums Überleben in einer höchst komplexen Zeit. Putschversuche von rechten und linken Bewegungen bedrohen die Regierungen. Die Alliierten erdrücken den neuen Staat mit hohen Reparationszahlungen. Politische Morde gehören zum Alltag. Eine Hyperinflation 1923 enteignet den Mittelstand. Darauf folgt ein ungeheuerlicher Aufschwung der Wirtschaft. Der Außenminister Gustav Stresemann erhält den Friedensnobelpreis und Deutschland wird in den Völkerbund aufgenommen. Die Weltwirtschaftskrise 1929 stoppt den wirtschaftlichen Aufschwung. 1931 folgt der Bankenkrise und er Zusammenbruch der Wirtschaft. Das System beginnt zu zerfallen. 1932 gab es in Deutschland mehr als sieben Millionen Erwerbslose.

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Die Inflation nahm bizarre Formen an…

Der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta äußert sich im Buch über das Ende der Weimarer Republik folgendermaßen:

Pyta: Das Ende der Republik war nicht allein durch materielle Not bedingt. Eine wesentliche Ursache für die Beseitigung der Republik lag darin, dass die Wähler den erklärten Feinden der Demokratie Schlüsselstellungen eingeräumt hatten. Nur durch die Wahlerfolge der NSDAP konnte Hitler Kanzler werden.  Und ohne den Versailler Vertrag hätte diese Partei wohl nie so viel Zulauf bekommen. Aber die Chance, Hitler zu verhindern, bestand bis zuletzt. 2

Einige Themen heute wieder aktuell

Möglich, dass einige Leser jetzt in Widerspruch laut aufschreien, aber gewisse Ähnlichkeiten zu der aktuellen, politischen Entwicklung schimmern aus der Vergangenheit herüber. Es wäre jetzt zu weit gegriffen, von einer „Weimarer Republik light“ zu sprechen. Ich erwähne nur ausgewählte, ähnliche Tendenzen, die mir aufgefallen sind.

1. Einkommensunterschiede

Ein Artikel des Buches widmet sich dem Unternehmer Hugo Stinnes3, einem der mächtigsten Industriefürsten, die Deutschland je hatte. Das amerikanische Magazin Times nannte ihn „den neuen Kaiser von Deutschland“. Sein Imperium umfasste 4554 Beteiligungen, darunter 389 Handels- und Verkehrsgesellschaften, 59 Erzbergwerke, 57 Banken und Versicherungen. Für ihn arbeiteten 600.000 Menschen. Nachdem durch die Hyperinflation 1923 das Vermögen des Mittelstandes stark ausgedünnt worden war, war das Gesamtvermögen des Landes nur mehr auf wenige Personen reduziert. Auch heute erleben wir ein Verschwinden des Mittelstandes und die Vermögens- und Einkommensunterschiede werden seit 10 Jahren immer grösser.

2. Die Linke zerfleischt sich, die Rechte gewinnt

Vor der Machtergreifung Hitlers kam es immer wieder zu wilden Straßenkämpfen zwischen den Sozialisten und den Kommunisten. Die KPD sah die SPD als strategischen Hauptfeind und bekämpfte die Partei als „Sozialfaschismus“. Im deutschsprachigen Raum erleben wir derzeit ein Erstarken der rechten Parteien. Sei es die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich. Sicherlich sind die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen nicht mit denen in der Weimarer Republik vergleichbar. Ein Schema beobachten wir aber aktuell in Österreich. Bei der Wahl für den österreichischen Präsidenten erlangte der Kandidat der FPÖ 49.7% der Stimmen. Die SPÖ hatte sich in den letzten Wochen zerstritten und den Präsidentschaftskandidaten der Grünen, Van der Bellen, nicht unterstützt. Anstatt sich mit den anderen linken Parteien zusammen zu tun, bekämpfen sie sich gegenseitig und die Rechte sieht zu und gewinnt.

3. Arbeitslosigkeit

Zumindest in Österreich beobachten wir derzeit steigende Arbeitslosenzahlen. Inwiefern diese Tendenz mit dem Erstarken der rechten Parteien in Österreich zusammenhängt, kann ich jetzt nicht beurteilen. Klar ist aber, dass diese Tendenz nicht zur Stabilität eines Systems beiträgt.

4. Mensch – Maschine

Die Erfahrung des Ersten Weltkrieges hatte gezeigt, wie sehr Menschen den von ihnen gebauten Maschinen unterlegen waren. Der Dichter Hugo Ball formulierte schon 1917, dass eine tausendjährige Kultur zusammengebrochen wäre. Es gäbe keine Pfeiler und Stützen, kein Fundamente mehr, die nicht zersprengt worden wären. Es seien Maschinen entstanden und an die Stelle von Individuen getreten. Den Ersten Weltkrieg hatten Maschinen, monströse Mordinstrumente gewonnen. Dan Diner beschreibt in seinem Buch Das Jahrhundert verstehenwie der massive Einsatz des Maschinengewehrs den Ersten Weltkrieg zu einem solchen Massaker hat werden lassen. Die Menschen sehnten sich nach einem neuen Menschen, der den Maschinen Paroli bieten konnte. Dieses Thema machte viele Filme zu Kassenschlagern wie „Frankenstein“, „Mann mit der Kamera“, „Modern Times“ oder „Metropolis“. Die radikale Erneuerung des Menschen war ein großer Traum der Weimarer Republik. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine ist in den heutigen Medien aktueller denn je. Durch die Industrie 4.0, die durch den Siegeszug des Internets, der extrem raschen Weiterentwicklung der Computerindustrie und der massiven Datendurchdringung unseres gesamten Lebens, entstanden ist, stellen sich viele Wissenschaftler die Frage, wo wir Mensche neben den Computern unsren Platz finden werden. Erik Brynjolfsson und Andrew Mcaffee beschreiben in ihrem Buch von 2014 The Second Machine Age, welchen Einfluss diese digitale Revolution auf unser Leben haben wird. Es scheint, als ob wir Menschen uns immer mehr mit der Vertechnisierung unseres Lebens auseinandersetzen und immer energischer unseren Platz verteidigen müssen.

Leseerlebnis

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© SPIEGEL GESCHICHTE 5/2014

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt: Neuanfang, Trügerische Stabilität, Kultureller Aufbruch und Der Weg in die Diktatur. Die Artikel des Buches sind erstmals in dem Heft Die Weimarer Republik. Deutschlands erste Demokratie (Heft 5/2014) aus der Reihe SPIEGEL GESCHICHTE erschienen. Die Herausgeber interviewten sogar den Historiker Wolfram Pyta. Teilweise behandeln einzelne Texte wichtiger Personen, wie Friedrich Ebert, Konrad Adenauer, Marie Juchacz oder Paul von Hindenburg, die in der Weimarer Republik eine besondere Rolle spielten. Neben politischen und wirtschaftlichen Themen werden auch kulturelle Themen werden aufgegriffen. In den letzten Kapiteln geht es um die Entwicklungen, die den Weg in die Diktatur Hitlers bereitet haben. Da das Buch aus einzelnen, in sich geschlossenen Artikeln besteht, kann man es sehr gut nebenbei lesen. Dabei kann man sich interessante Kapitel heraussuchen. Es ist nicht unbedingt nötig, das Buch von vorne bis hinten zu lesen. Der Nachteil dabei ist, dass viele Fakten und Ereignisse mehrmals erwähnt werden. Liest man das Buch in einem durch, stößt man auf viele Wiederholungen. Wer einen schnellen Überblick über die Zeit der Weimarer Republik bekommen möchte, für den ist dieses Buch ideal. Es ist sehr informativ, geht nicht zu sehr in die Tiefe und macht Lust darauf, mehr über diese sehr interessante Zeit zu erfahren.

  1. Klußmann Uwe/Mohr Joachim (Hg.): Die Weimarer Republik. Deutschlands erste Demokratie. SPIEGEL-Verlag: Hamburg 2015, S. 39
  2. Klußmann/Mohr (Hg.) 2015. S. 37
  3. Klußmann/Moor (Hg.), 2015, S. 95
Die Weimarer Republik Book Cover Die Weimarer Republik
SPIEGEL GESCHICHTE
Uwe Klußmann, Joachim Mohr,
Sachbuch
SPIEGEL-VERLAG
8. September 2015
Hardcover
272
978-3-421-04696-3